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MZ
Mitteldeutsche Zeitung

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Ausgabe:  07.05.2003    
Denkmalschutz - Bittere Pille für eine Heilstätte
Gebäude einer psychiatrischen Anstalt stehen Hochtechnologie im Weg

VON Günter Kowa, 05.05.2003, 17:21h
Hintergrund
Erbaut 1844-1857 nahe Nietleben bei Halle, fällt die "Provinzial-Irrenanstalt" oder Landesheilanstalt architekturgeschichtlich in die Zeit des "Löwengebäudes" der Universität. Entworfen von Gustav Spott, atmet das Bauwerk freilich einen anderen, schmucklos-kargen Geist des Klassizismus.  
In der vierseitigen, von Kolonnaden verbundenen Anlage gibt es Anklänge an die Renaissance-Bauten Palladios. Das funktionale Konzept stammt von Heinrich Damerow, einem führenden Psychiater der Zeit, und galt als bedeutendes Reformwerk.

Psychiatrie in strengem Stil  (erstellt 05.05.2003, 17:19h)
(Foto: MZ)

Einstige Psychiatrische Landesheilanstalt in Halle.

Halle/MZ. Kein Denkmal ist gefeit gegen Begehrlichkeiten. Doch sollte, wie derzeit diskutiert wird, der Stadtrat von Halle demnächst einen Abrissantrag auf die einstige Psychiatrische Landesheilanstalt in Halle stellen, dann steht ein Bauwerk von außerordentlicher Qualität und Bedeutung zur Disposition.
Gegen die nüchtern-strenge und zugleich räumlich beeindruckende Anlage hat sich eine breite und einschüchternde Koalition der Willigen zusammengefunden. Außer Wirtschaftsvertretern sind darin auch Universitätsprofessoren und Direktoren von Forschungsinstituten vertreten. Besonders die Universität hat großes Interesse daran, dass ein drittes, der Nanotechnologie gewidmetes "Technologie- und Gründerzentrum" (TGZ) entstehen kann, für das das Klinikgelände den angeblich einzig möglichen Standort darstellt.

Treibende Kraft ist der jedoch der Direktor des TGZ, Wolfgang Lukas. Er hat bereits mit zwei Häusern unbestrittene Erfolge in der Ansiedlung von Technologie-Unternehmen eingefahren. Das dritte soll vor allem durch einen Reinraum herausragende Forschungsbedingungen bieten. Fördergelder der EU sind bis 2006 abzurufen. Der Stadtrat steht somit vor der unbequemen Wahl, entweder ein bedeutendes, aber marodes Denkmal zu erhalten, oder ein Hochtechnologiezentrum an die Stelle zu setzen.

Im Weinbergviertel am Rande der Dölauer Heide soll es neben den beiden TGZ, dem Biologie-Technikum, den Instituten der Universität sowie den Max-Planck- und Fraunhofer-Gesellschaften den entstehenden "Wissenschafts- und Innovationspark" abrunden. Städtebaulich profitiert es vom landschaftlichen Reiz und vom fließenden Übergang zum Wohnviertel Heide-Süd, das aus einem Garnisonsgelände hervorgegangen ist. Dieses wiederum hat seinen Ursprung in der Heilanstalt, nachdem deren Bauten 1935 ans Militär fielen. Zur gleichen Zeit entwarf Ernst Sagebiel die triumphalistische Pose der Heeres-Nachrichtenschule als Tor zu dem Gelände.

Also droht eine sarkastische Wende des Schicksals. Denn der Nazi-Bau wird aufwändig für die Universität saniert, während diese (unter Hinweis auf die Last ihrer Denkmäler in der Innenstadt) die Hochtechnologie auf Kosten eines Bauwerks der Humanität befördern will.

Es gibt aber auch Stimmen in der Universität, die in der Hügellage und dem Hofcharakter der Anstalt den noch fehlenden Mittelpunkt des entstehenden Campus der Naturwissenschaften sehen. Es gibt Bedarf für Mensa, Studentenwohnheim und Bibliothek. Aber Lukas hat bisher alle angebotenen (sechs) Ausweichflächen abgelehnt, darunter auch angrenzende. Das Stadtplanungsamt sowie der frühere Baudezernent Friedrich Busmann, der die Planungen jahrelang betreut hatte, sehen Lukas' jeweilige Begründungen sehr skeptisch. Unstrittig ist nur, dass eine Umnutzung der Anstaltsbauten für den Zweck nicht in Frage kommt. Die nötige Labortechnik sprengt den starren Rahmen der Architektur, selbst wenn sie entkernt würde.

Inzwischen hat Lukas den Druck weiter erhöht, indem er die Bebauung des Areals europaweit ausgeschrieben hat. Das Verfahren hat keinerlei Ähnlichkeit mit Wettbewerben, in denen es um Gestaltqualität geht. Die fast unvermeidliche Gesichtslosigkeit rein technischer Zweckbauten wäre das Ende des bislang noch einzigartig atmosphärischen landschaftlich-urbanen Gefüges.

Sicher ist, dass nur ein neuer Nutzer den Anstaltsbauten eine weitere Lebensspanne verleihen kann. Doch dieser ist nicht in Sicht. Die Stadt verweist auf jahrelange, allesamt ergebnislos aufgegebene Bemühungen. Jüngst noch ist die hallesche Klinik Bergmannstrost vor den Kosten für eine geplante Reha-Klinik für atemgelähmte Patienten zurückgeschreckt.

Niemand hat aber bisher öffentlich eine Möglichkeit diskutiert, für die die historischen Bauten wie geschaffen scheinen - ohne jede Ironie. Demnächst stehen zwei Landesämter vor der politisch gewollten Fusion: die Denkmalpflege und die Archäologie. Ein geeigneter Standort für die neue Einrichtung wird gesucht. Mit solchen Hütern im Haus wäre die Landesheilanstalt allen

 

   

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