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Die Welt
 

Ausgabe: 05.04.2003    
Ein Schloss für Kranke - gefährdet
Die Welt, 05.04.2003
 
Zählt zu den ältesten Ihrer Art: Die ehemalige Irrenanstalt Nietleben bei Halle
Um für den Ausbau eines Wissenschafts- und Innovationsparks „optimale Standortbedingungen" zu schaffen, soll in Halle/Saale ein denkmalgeschützter spätklassizistischer Gebäudekomplex von überregionaler Bedeutung abgerissen werden. So steht es in einer bisher nicht veröffentlichten Beschlussvorlage, mit der das Planungsdezernat die bestehende „Entwicklungssatzung" für den Stadtteil Heide-Süd kippen will.

In der Satzung von 1995 hatte es der Stadtrat von Halle noch für unumgänglich gehalten, dass bei Erschließung und Bebauung des Geländes die „Charakteristik des Ortes" gewahrt wird und die bestehenden Bauten „in ein Gesamtkonzept harmonisch zu integrieren" sind.

Tatsächlich handelt es sich um ein außergewöhnliches Ensemble: die frühere Provinzial-Irrenanstalt Nietleben. 1844 auf einem Rebenhügel errichtet, bildet sie eine weithin sichtbare Landeskrone und ein Kulturdenkmal, das den Krieg und selbst die Umnutzung zur Sowjetkaserne glimpflich überstanden hat.

Weil die Bausubstanz schlecht, das Erscheinungsbild desolat und die Vermarktung (bisher) misslungen ist, verlangt das Planungsdezernat nun, die Satzung zu revidieren und die ehemalige Landesheilanstalt abzureißen.

Die Frage, ob an der Vermarktungsstrategie womöglich manches nicht gestimmt hat, wird nicht gestellt. Immerhin gelingt es heute von Chemnitz bis Duisburg, innovative Unternehmen und Sponsoren für die denkmal­gerechte Umnutzung leer stehender alter Gewerbebauten zu gewinnen und vielfach sogar zu begeistern, wie das Beispiel des vor wenigen Tagen eröffneten Stuttgarter Theaterhauses in der alten Rheinstahlhalle zeigt.

Das Ensemble war eine der ältesten Heilanstalten Deutschlands, die konkret für diesen Zweck errichtet wurde. Der betont schlichte Stil der um einen, rechteckigen Hof gruppierten Gebäude (Architekt: Gustav Spott) wirkt geradezu „modern".

Arkaden und Kolonnaden zwischen den zwei- und dreistöckigen winkelförmigen Trakten ließen einen ummauerten Bezirk entstehen, der die Kranken einschloss, ihnen aber auch Sicherheit gab. Trotz des maroden Zustands präsentiert sich der Komplex auch heute noch als Anlage von schlossartiger Eleganz.

Gesäumt wird die Anstalt von Villen der zweiten Jahrhunderthälfte - roten Klinkerbauten mit horizontalen Bändern und fili­granen schmiedeeisernen Loggien. Sie sind - zunächst - vom Abriss ausgenommen. Wird die Anstalt indessen gesprengt, verlieren sie ihren Zusammenhalt.

Für Ostdeutschland ist dieser Fall exemplarisch. Leerstand und Schrumpfung werden immer mehr zur flächenhaften Bedrohung dessen, was allein Identität und» damit letztlich auch Standortqualität verbürgen kann.

Dankwart Guratzsch
   

www.scheer-halle.de