[ Home ]  [ Nach oben ]
Uni-Halle

Ausgabe: 19.09.1997 (letzte Änderung)    
Geschichte einer «verbotenen Stadt»
Jan Simon
i-mail 1997
Letzte Änderung: 1997-09-19
Quelle: Uni-Halle -> http://www.informatik.uni-halle.de/fachschaft/i-mail/1997ws/html/heide1.html
 
   

Mehr als 40 Jahre kannte man das ehemalige ca. 200 ha große Kasernengelände Heide-Süd nur als die «verbotene Stadt». Bei einem Besuch im Stadtarchiv offenbart sich dem Geschichtsinteressierten, daß das Gelände auf eine 150jährige Geschichte zurückblicken kann.

In den Jahren 1842-1847 wurde auf dem sogenannten «Bardtschen Weinberg» zu Nietleben die «Königliche Irren Heil- und Pflegeanstalt» gebaut. Neben der Behandlung von Geisteskranken gab es hier 1917 ein Lazarett für Hirnverletzte aus dem 1. Weltkrieg. Die Anstalt bot für maximal 1020 Leute Platz, von denen 580 Männer und 440 Frauen sein konnten. Einem Zeitungsbericht aus dem Jahre 1922 zufolge war das Leben in der Anstalt sehr abwechslungsreich. Es gab neben den Ärztevillen und Krankenhausgebäuden sogar eine Kirche, ein Spritzenhaus, einen Wasserturm und eine Gärtnerei. Das Haus mit den Gummizellen gehörte dabei in das Reich der Fabeln. Später jedoch wurde bekannt, daß es auf dem Gelände sehr wohl ein Gefängnis mit eben diesen genannten Zellen gegeben hatte.


[ Logo der Klapper ]

Anstaltszeitung 1933. Die Kirche wurde später als Turnhalle umfunktioniert.


Der Mangel an ausgebildeten Nachrichtentruppen im 1. Weltkrieg veranlaßte den Plan des Aufbaus dieser wichtigen Gattung seitens der deutschen Führung. Doch der Versailler Vertrag verbot den Bau einer Schule für die Nachrichtentruppe des Heeres. Um dies zu umgehen, wurde eine Art Nachrichtenschule an die Artillerieschule in Jüterborg angegliedert. Am 1. April 1934 wurde dann beschlossen, eine Heeresnachrichtenschule in Halle zu bauen. Als geeigneten Ort wählte man das Gelände der Heil- und Pflegeanstalt, die noch im gleichen Jahr geschlossen wurde. Der Bau der Schule dauerte bis zum 30. Juli 1935. In 320 Tagen wurden sage und schreibe 160 Gebäude erbaut. Hätte man die Häuser Giebel an Giebel gereiht, so wäre die Länge der sich ergebenden Häuserreihe ca. 9000 m.

In der Heeres- und Luftnachrichtenschule (seit 1936 selbständig) wurden Soldaten ausgebildet, die für Fernsprech-, Fernschreib- bzw. Funkverbindungen zuständig waren. Die ersten Lehrgänge begannen im Herbst 1935.

Das letzte Aufgebot zur Verteidigung Halles rekrutierte sich im April 1945 aus den Soldaten der Heeresnachrichtenschule. Zum Glück kam es jedoch zu keinen Kampfhandlungen mehr, und die Stadt wurde kampflos von den Amerikanern eingenommen. Für ein paar Wochen zog die 104. Amerikanische Infanteriedivision in die Heeresnachrichtenschule, mußte dann aber 1945 aufgrund des Potsdamer Abkommens der sowjetischen Armee weichen.

Für 46 Jahre blieb diese russische Garnison für die Bevölkerung Halles Tabuzone. Nur Ausgewählte, vornehmlich SED-Genossen, durften ab und zu mal zu Besuch in die Kaserne. Bei einem jetzigen Rundgang über das Kasernengelände zeigte sich, daß es auf dem Anwesen anscheinend keinen Ort für sportliche Betätigungen gegeben hatte. Zu diesem Zweck wurden kurzerhand die Kirche und das Gemeindehaus von der sowjetischen Armee in einen Basketball- und Turnsaal umfunktioniert.

Am 2. Juli 1991 verließ der letzte der 9000 hier stationierten Soldaten Halle und das Gelände ging 1994 an die Saalestadt. Seitdem hat sich hier schon sehr viel getan. In das ehemalige Stabsgebäude der sowjetischen Armee zog der Fachbereich Mathematik der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg ein. Nach umfassenden Renovierungsarbeiten mußten 60 Container mit Schutt und Müll aus eben diesem Gebäude entsorgt werden, wohlgemerkt ohne das enthaltene Mobiliar. Weiterhin sind der Bau eines Industrie- und Wohnparks und die Ansiedlung des naturwissenschaftlichen Campus geplant. Hierbei werden für die Fachbereiche Informatik und Physik entsprechende Häuser saniert. Nach Auskunft von Frau Dr. Horn, Leiterin des Amtes für Wirtschaftsförderung der Stadt Halle, wird es aber noch über 10 Jahre dauern, bis alle Pläne verwirklicht sind. Ab Herbst 1997 wird das Gelände für die Öffentlichkeit zugänglich sein und somit bietet sich jedem die Möglichkeit hierher zu kommen, um den Bauvorgängen beizuwohnen oder einfach nur die einzigartige Idylle zu genießen.

Jan Simon


i-mail 1997
Letzte Änderung: 1997-09-19

   

www.scheer-halle.de